Wie alles begann – der Ausgangspunkt

Die Geschichte der Minoer, aber ganz besonders die Ausgrabungen von Knossos, sind untrennbar mit dem Namen von Sir Arthur Evans verbunden, dem „Entdecker“ der Minoer.

Evans wuchs als Sohn eines bekannten Wissenschaftlers und Papierfabrikanten in einem Haus auf, indem er von Zeugnissen der Vergangenheit umgeben war und in dem eine ethische und musische Erziehungen einen hohen Stellenwert hatte. Dies trug sicher auch mit dazu bei, dass sich „Klein Arthur“ schon im Alter von sieben Jahren mit altertumskundlichen Studien beschäftigte.

Auf seinem weiteren Werdegang wurde Evans durch die Entdeckungen Schliemanns stark beeinflusst. Die Entdeckung Trojas und die Ausgrabungen in Mykene stellten erstmalig Bezüge zwischen der griechischen Mythologie und der tatsächlichen Geschichte her.

Bis zu dieser Zeit war die Wissenschaft davon ausgegangen, dass die europäische Kultur auf der Kultur des antiken Griechenlands basierte. Aber mit den Ausgrabungen von Mykene stellte sich die Frage nach den Ursprüngen der europäischen Kultur neu. Schließlich datierte Mykene 1.000 Jahre vor der klassischen griechischen Periode. Evans erkannte bald, dass für die Lösung dieses Problems ein wichtiger Baustein fehlte, nämlich auf Schriften beruhende Aufzeichnungen zu dieser Periode. Er wusste, ohne schriftliche Aufzeichnungen aus der Zeit der Mykener war nicht zu beweisen, dass Mykene und nicht die klassische griechische Periode die Wurzeln der europäischen Kultur bildeten. Daraus ergab sich für Evans eine wichtige Schlussfolgerung. Wenn es ihm gelingen sollte, eine vorgriechische Schrift zu finden, würde er damit der europäischen Geschichte wesentliche neue Aspekte hinzufügen. (1) Antike Siegelsteine waren der Ansatz, der ihn schließlich auf seinen Weg führen sollte.

Auf der Suche nach den Ursprüngen

Im Jahr 1889, Evans war nach erfolgreichem Studium Kurator des Ashmolean Museums in Oxford, wurden diesem Museum mehrere antike Siegelsteine gespendet. Als Ursprung für diese Steine wurden Sparta und die Insel Kreta angegeben. Bei den Steinen handelte es sich um kleine Edelsteine, die mit Bildern und Symbolen versehen waren. Zur Kennzeichnung von Waren und anderen Sachen wurden sie in Ton oder Wachs gedrückt. Weitere Siegelsteine konnte Evans 1893 bei einem Besuch in Athen bei dortigen Antiquitätenhändlern erwerben. Auch bei diesen Steinen wurde ihm als Herkunft die Insel Kreta benannt.

Verschiedene Siegelsteine unterschiedlicher Herkunft: Universitätsbibliothek Heidelberg / Bossert, Helmuth Theodor [Hrsg.]: Alt Kreta: Kunst und Kunstgewerbe im ägäischen Kulturkreise; Berlin, 1921 / Seite Tafel 199 (2)

Schließlich führten ihn seine Nachforschungen zu dem italienischen Archäologen und anerkannten Kreta-Experten Frederico Halbherr. Von diesem erfuhr Evans, dass vergleichbare Siegelsteine mit rätselhaften Symbolen häufiger von kretischen Bauern, vornehmlich auf Feldern um Knossos gefunden wurden. In einer Analyse der Siegelsteine stellte Evans Ähnlichkeiten mit alt-ägyptischen Hieroglyphen fest. Daraus leitete er die Schlussfolgerung ab, dass die Abbildungen und Hieroglyphen auf den Siegelsteinen Vorstufen für eine vorgriechische Schrift seien könnten. (1)

Erste Reise nach Knossos

Evans wollte seine Annahmen und seine Erkenntnisse zu den Siegelsteinen weiter verifizieren. Dazu reiste er 1894 nach Kreta, wo er auf dem Kephalas-Hügel ca. fünf Kilometer südlich von Iraklion auf Zeichen einer begonnenen Ausgrabung stieß. Es waren Ergebnisse eines ersten Versuches einer Ausgrabung durch den aus Iraklion stammenden Rechtsgelehrten Minos Kalokairinos. Dieser hatte im Jahr 1878 mit den Ausgrabungen begonnen. Allerdings wurden die Ausgrabungen nach drei Wochen von den türkischen Behörden abgebrochen. Im Rahmen seiner Arbeiten hatte Kalokairinos Teile des Westflügels und der Magazine freigelegt (3). Es war vermutlich eine dieser freigelegten Mauern, auf denen Eveans eingeritzte Hieroglyphen entdeckte. Die Übereinstimmung mit den Hieroglyphen, die er von den Siegelsteinen her kannte, war unübersehbar und für ihn ein Zeichen, dass er auf der Spur zur ältesten Schrift Europas war.

Noch eine weitere Entdeckung erregte die besondere Aufmerksamkeit von Evans. Das war das eingeritzte Symbol einer antiken Doppelaxt – einer Labrys auf einem Mauerstück. Bei dieser Entdeckung waren zwei Aspekte relevant. Einerseits liefert das griechische Wort Labrys Bezugspunkte zum Begriff Labyrinth. Zum Anderen wird das Symbol der Doppelaxt in der griechischen Mythologie mit Zeus in Verbindung gebracht. Und bekanntlich spricht auch die griechische Mythologie vom Pakt zwischen Minos und Zeus (1).

Ausgrabungen in Knossos

Nach diesen Entdeckungen war Evans davon überzeugt, dass es sich bei den vorgefundenen Mauern um Überreste des Palastes des König Minos handelte. Er war jetzt fest entschlossen, die Ausgrabungen am Hügel von Knossos zu beginnen. Aber um seine Forschungen damit fortzusetzen, musste er zunächst das Land für die Ausgrabungen käuflich erwerben, was sich durch die osmanische Besatzung und den beginnenden Befreiungskrieg verzögerte. So kaufte er schließlich in zwei Tranchen das benötigte Land, was sich jedoch bis 1899 hinzog.

In der Zwischenzeit hatte sich Evans ausführlich mit der weiteren Analyse der Siegelsteine und der auf den Mauern vorgefundenen Hieroglyphen beschäftigt. Dabei war er zu der Schlussfolgerung gekommen, dass ihm zwei Entwicklungsphasen einer Schrift vorlagen. So waren auf einigen Siegelsteinen Bilder und Symbole eingeritzt. Auf anderen Siegelsteinen fand er linear angeordnete abstrakte Symbole. Diese wertete er als Vorstufen eines Alphabetes. Als Evans seine Erkenntnisse in England veröffentlichte und nachweisen konnte, dass er Spuren einer vorgriechischen Schrift gefunden hatte, war dies eine Sensation. Es ging hier schließlich um eine Schrift, die 1.000 Jahre vor dem klassischen Griechenland zu datieren war.

Nachdem Evans 1899 Besitzer des Landes am Kephalas-Hügel geworden war, begannen am 23. März 1900 die Ausgrabungen. Hierfür konnte Evans zunächst den Archäologen Duncan Mackenzie und den Architekten Theodor Fyfe zur Mitarbeit gewinnen. Beide Wissenschaftler besaßen die entsprechenden Erfahrungen bei archäologischen Grabungen. Mackenzie beherrschte zudem die Landessprache perfekt.

Erste Entdeckungen – eine Weltsensation

In der zweiten Ausgrabungswoche wurden in einer großen Wanne aus Ton hunderte gebrannte Tontafeln mit eingravierter Schrift gefunden. Die Tatsache, dass die Schrift in Tontafeln eingraviert war, konnte als Hinweis auf eine Alltagssprache gedeutet werden. Eine Untersuchung der Schrift ergab, dass diese weiter entwickelt war, als die Schrift auf den Siegelsteinen. Am gleichen Ort wurde zum selben Zeitpunkt ein Tongefäß gefunden, welches den Artefakten bei Schliemanns Ausgrabungen in Mykene vergleichbar war. Damit war die Verbindung zwischen Schliemanns Funden in Mykene und den Ausgrabungen von Knossos hergestellt. Die Tontafeln konnten somit auf ca. 1450 v. Chr. datiert werden. Evans nannte die Schrift auf den Tontafeln später Linearschrift B. Die Entdeckungen der Tontafeln stellten eine Weltsensation dar. Einen vergleichbaren Fund hatte es zuvor noch nie in Griechenland oder Europa gegeben.

Zu einem späteren Zeitpunkt der Ausgrabungen stieß Evans in tieferen Schichten auf weitere Tontafeln. Allerdings wiesen diese eine Schrift auf, die bei Weitem nicht so weit entwickelt war. Sie war einfacher strukturiert als die Linearschrift B und zeitlich früher einzuordnen. Deswegen definierte Evans sie als Linearschrift A. Die weitere Analyse führte Evans zu dem Ergebnis, dass es beginnend bei Siegelsteinen über die Linearschrift A bis zur Linearschrift B eine kontinuierliche Entwicklung einer vorgriechischen Schrift gab. (1)

Die Spuren des Minotaurus und der Weg zum Labyrinth

Nun war Evans davon beseelt, auch die Geheimnisse um den Minotaurus und das Labyrinth von Knossos aufzuklären. Schließlich entdeckte er einen Raum, der später als Thronsaal bekannt werden sollte. Das Erste, was in diesem Raum freigelegt wurde, waren die Reste eines Wandbildes mit dem Huf eines Stieres. Für Evans ein Fingerzeig zum Minotaurus. Etwas später wurde ein in einer Wand eingelassener Stuhl aus Alabaster entdeckt, der an einen Thron erinnerte. Auch hier zog Evans den Schluss, dass dies der Thron des König Minos gewesen sein könnte.

Ausgrabung des Thronsaales in Knossos im Jahr 1900 Foto aus Arthur Evans, Palace of Minos at Knossos Volume V Part II, S. 906, Fig.881 (4)

Am 55. Tag der Ausgrabungen entdeckten die Arbeiter das Relief eines Stierkopfes in Form eines dreidimensionalen Kalkfreskos. Es handelt sich um einen tobenden lebensgroßen Stier mit geblähten Nüstern und heraushängender Zunge. Der Anblick war so beeindruckend, dass die Arbeiter erschrocken aufschrien und zunächst davonliefen. Für die Arbeiter war dies das Ebenbild des Teufels. Aber für Eveans war klar, das Bild zeigte den Kopf des Minotaurus. (1)

Im Zuge der weiteren Ausgrabungen stieß Evans unter Geröll auf Treppen und auf eine Vielzahl langer verwinkelter Gänge von denen kleine Räume abzweigten. Daraus ergab sich für ihn eine eindeutige Assoziation zu einem Labyrinth. Nun war für Evans klar, die Ergebnisse seiner Ausgrabungen hatten im Kern den Wahrheitsgehalt der Mythen um Knossos und König Minos bestätigt. Mit dieser Einschätzung aber hatte Evans die notwendige wissenschaftliche Distanz zu den Ergebnissen seiner Arbeit vermissen lassen. (1) Ein Fakt, der ihm in der Folgezeit noch viel Kritik einhandeln sollte.

Zwischen Ruhm und Kritik

Während der Jahre, in denen er die Ausgrabungen in Knossos leitete, war Evans auch gezwungen, Teile des Palastes durch Nachbauten wiederherzustellen, um sie vor dem Verfall zu bewahren. Andere Teile des Palastes und auch Fundstücke wie Fresken und Keramiken wurden nach seinen Vorstellungen rekonstruiert. Dies schmälerte in gewissem Maße die wissenschaftliche Bewertbarkeit der Ausgrabungen. Eine Reihe seiner Schlussfolgerungen und Auswertungen wurden durch Archäologen, Altertumsforscher und Kunsthistoriker kritisiert. Dabei ist allerdings auch zu beachten, dass die Kritiker oftmals Evans Arbeit unter ihrem jeweils aktuellen Blickwinkel und den Erkenntnissen ihrer Zeit bewerteten.

Der zeitliche Kontext, in dem Evans seine Ergebnisse erzielte, wird von seinen Kritikern häufig vernachlässigt. Dies ist eine Vorgehensweise beim Umgang mit historischen Ereignissen und Zusammenhängen, die aktuell leider immer häufiger praktiziert wird. Neuere Ausgrabungen haben z.T. auch zu neuen Erkenntnissen und Schlussfolgerungen geführt. Sie haben uns geholfen, Aspekte der minoischen Geschichte besser zu verstehen und unser Verständnis für die Mythen der Vergangenheit zu vertiefen.

Von Evans rekonstruierter Teil der Westbastion im Palast von Knossos mit dem Relieffresko eines Stieres zwischen Olivenbäumen. Nach Evans trug dieses Fresko zur Entstehung des Mythos vom Labyrinth bei Foto HUB

Aller Kritik an Evans stehen aber unbestreitbar seine übergroßen Verdienste gegenüber.

Was für immer bleibt

Eveans wird für alle Zeiten derjenige sein, der die Minoer aus dem Dunkel der Vergangenheit geholt hat. Auf der Suche nach einer vorgriechischen Schrift bei den Mykenern hatte er erkannt, dass es noch eine ältere Kultur und Schrift gab. Eine Kultur und Schrift, die viele hundert Jahre vor den Mykenern lag und von Menschen auf Kreta entwickelt und gepflegt wurde (1).

In Anlehnung an die Mythen zum König Minos nannte Evans dieses Volk die Minoer und gab einer fast 2000-jährigen Epoche einen Namen. Er schrieb nicht nur die erste Chronologie der Minoer, sondern er hinterließ der Welt auch eine fünfbändige Enzyklopädie zu den Ausgrabungen von Knossos. Das Werk „The Palace of Minos at Knossos“ wird noch heute zu Recht als Bibel der Minoischen Archäologie bezeichnet (3).

In den 31 Jahren seiner Ausgrabungen hat Evans eine ungeheuer große Anzahl von Artefakten zutage gefördert, die uns auch heute noch durch ihre vollkommene Schönheit immer wieder beeindrucken.

Bei aller Kritik an den Rekonstruktionen, die Evans an den Ausgrabungen vorgenommen hat, haben diese aus meiner Sicht auch einen positiven Effekt. Wenn die Ausgrabungen von Knossos heute der größte touristische Anziehungspunkt auf Kreta sind, so ist das in meinen Augen auch ein Verdienst von Sir Arthur Evans. Es ist ihm in hohem Maße gelungen, die minoische Geschichte für mittlerweile Millionen von Menschen erlebbar, fassbar und verständlich zu machen. Vielleicht bleibt bei vielen auch die Erkenntnis haften, dass eine lange friedliche Periode – wie die Pax Minoica – einem Volk ein Leben in Wohlstand und eine erfolgreiche Entwicklung bescheren kann.

Büste von Sir Arthur Evans dem Entdecker der Minoer am Eingang zum Palast von Knossos – Foto HUB

Quellen

(1) ZDFinfo Doku-Das Labyrinth des Minotaurus – Mythen-Jäger ZDF 2015
(2) Bossert, Helmuth Theodor [Hrsg.]: Alt Kreta: Kunst und Kunstgewerbe im ägäischen Kulturkreise Berlin, 1921
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/bossert1921/0277
abgerufen am 09.02.2021
(3) Knossos – neuer Führer zum Palast, Jorgos Tzorakis, Verlag Espros Athen 2008
(4) Arthur Evans The Palace of Minos, Volume IV: Part II; London 1935
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/evans1935a/0558
abgerufen am 03.03.2021
(5) Arthur Evans The Palace of Minos, Volume I: London 1921 – Supplementary Plate X
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/evans1921bd1/0777/text_ocr
abgerufen, am 18.04.2021

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